Ein verschollenes Buch (Einleitung)
Hans Paasche (1881-1922), der die „Briefe des Negers Lukanga Mukara“ als Buch in Deutschland veröffentlichte, war ein klassischer Querdenker, ein Provokateur, der nie ein Blatt vor den Mund nahm, einer, der nicht in der Masse mitlief. Zudem war Paasche Lebensreformer, Vegetarier und Pazifist. 1900 wählte er zwar die Laufbahn des aktiven Marineoffiziers, machte sich aber – wie auch bei der Schutztruppe in Deutsch-Ostafrika – bald unbeliebt (weil er z.B. für Alkoholabstinenz warb). Als er an Malaria erkrankte, kehrte er nach Deutschland zurück. 1909 verbrachte er seine Hochzeitsreise wieder am Viktoriasee – seine Frau war die erste Europäerin an den Quellen des Nils. Wieder zurück in Deutschland warb er für Pazifismus und Frauenstimmrecht, unterstützte den Tierschutz und die vegetarische Bewegung. Trotzdem meldete er sich beim Ausbruch des I. Weltkrieges wieder zu den Waffen, schied aber schon 1916 endgültig aus der Marine aus. Er lebte auf seinem Gut und schrieb gegen den Krieg und die politische und militärische Leitung des Reiches. Er wurde 1920 auf seinem Gut von Freischärlern aufgrund einer Denunziation (als Hochverräter) erschossen. Hans Paasche ist u.a. auch um dieses Buches Willen ermordet worden, denn er hat Deutschland seinerzeit mit genau dieser Schrift wachgerüttelt und ganz erheblich durcheinander gebracht. Der „Lukanga Mukara“ ist eine einmalige Kulturkritik, wie ein Kommentator aus jüngerer Zeit meinte: „Wollen wir hoffen, dass dieses lange verschollene Buch uns helfen kann, eine neue menschliche Kultur zu entwickeln.“
Ein Vorwort von Franziska Hähnel
Als in den Jahrgängen 1912 und 1913 der deutschen Zeitschrift für das Menschentum unserer Zeit „Der Vortrupp“ die ersten Briefe des Negers Lukanga Mukara von Hans Paasche veröffentlicht wurden, erregten sie großes Aufsehen, denn darin ließ Paasche Land und Volk mit den Augen eines von jeder abendländischen „Kultur“ unberührt gebliebenen Negers anschauen und in den Briefen an seinen König schildern.
Wer ist Lukanga Mukara? Paasche sagt es in seiner Einleitung zu den im „Vortrupp“ erschienen Briefen, die er mir während des Krieges zur Verfügung und zu späterer Veröffentlichung übergeben hatte (während des Krieges hätte die Zensur den Abdruck nicht zugelassen, obwohl sie sämtlich vor dem Kriege geschrieben worden sind). Die Urgestalt des Lukanga Mukara war ein Negerbursche, den Hans Paasche zur Bedienung hatte, als er seine Hochzeitsreise mit seiner jungen Frau Ellen an die Nilquellen machte.
Die Aufzeichnungen über diese Hochzeitsreise zeigen, dass Hans Paasche schon damals die Zustände und „Kulturerrungenschaften“ in Deutschland kritisch betrachtete. Er versuchte, die Frage zu beantworten: Welchen Segen oder Unsegen bringt unsere deutsche Kultur einem Volke, das bisher von ihr unberührt geblieben war? Er kam auf seiner Hochzeitsreise in seiner Schilfhütte von Ukerewe, am Strande des Viktoriasees (Januar 1910), zu folgendem Schlusse: „Je länger ich aber hier lebe, desto mehr sehe ich, dass wir vorsichtig sein müssen mit dem, was wir den Negern bringen. Wir halten wirklich vieles für gut, was in Wirklichkeit schädlich wirkt.“
Der Viktoriasee (früher „Ukerewesee“) ist der größte See Afrikas, der zweitgrößte Süßwasserseee der Welt – seine Fläche von ca. 69.000 m² entspricht der Größe Irlands oder der Schweiz. Der See wird von Uganda, Kenia und Tansania begrenzt.
Hans Paasche war damals immer stärker in den Gedanken der Lebensreform hineingewachsen. Er war davon überzeugt, dass so viele Unsitten und Missstände in unserem Vaterlande besiegt werden könnten, wenn viele Volksgenossen gleich ihm überzeugte Lebensreformer würden. Da war es ihm wichtig, wie ein Mann, der von solchen Dingen noch unberührt geblieben war, sie sehen und beurteilen musste. Er hat mir mehrfach erzählt, wie ihn die Urteile seines Negerburschen oft weniger belustigt als zum Nachdenken gebracht hätten.
Paasche ist nie ein Freund der „grauen Theorie“ gewesen; die Tat stand ihm über alles. Und so hoffte er auch, dass die Lukanga Mukara Briefe viele Menschen zur Tat führen könnten. Ihm galt es, offene Augen zu schaffen für das, was schlecht und morsch war. „Deutsche Frauen und Männer, deutsche Jugend – ihr könnt die Bahn frei machen zum Aufstieg, wenn ihr nur wollt.“ So dachte und sprach Hans Paasche. So glaubte er an die Zukunft unseres Volkes.
Alle, die ihn verehren, sollten gleich ihm sich einsetzen. Gewiss werden die Lukanga Mukara Briefe nicht nur Hans Paasches Gedenken unter uns auffrischen, sondern die Zahl derer vermehren helfen, die sehend werden und unser Volk von „modernen“ Unsitten frei machen wollen. Deshalb bin ich gerne dem Wunsche zur Herausgabe der Briefe gefolgt.
Paasche verbrachte mit seiner Frau Ellen längere Zeit in Ukerewe, einer Insel im Viktoriasee bzw. Provinz in Tansania, dem ehemaligen „Deutsch-Ost-Afrika“.
Einleitung von Hans Paasche
Auf meiner letzten Reise nach Innerafrika besuchte ich ein unerschlossenes Land, das eine eigene, alte, von europäischer weit abweichende Kultur hat.In seiner wundersamen Abgeschlossenheit bewahrte dies Land bis in unsere Tage Zustände und Volkssitten, die zum Vergleich mit der eigenen Denkart, der eigenen „Kultur“ anregen. Ich konnte mich bisher nicht entschließen, über dies Land etwas zu veröffentlichen. Schien es mir doch, als genüge eine Reise von kaum fünf Monaten in jenem Lande nicht, um auf einen ganz vorurteilsfreien Standpunkt zu kommen.
Hans Paasche, dem wir die Briefe des Negers Lukanga Mukara zu verdanken haben, war Lebensreformer, Vegetarier, Pazifist, Autor, Afrikareisender und unterstützte die damals sehr starke deutsche Jugendbewegung.
Ich brachte den Eindruck mit heim, dass unerschlossene Länder und Urvölker für uns ein Segen seien, weil wir an ihnen, die alle Errungenschaften unserer Kultur nicht kennen und nicht entbehren, die unsere Vorzüge nicht haben, aber auch von unseren Fehlern und Gewohnheiten frei sind, lernen können, uns selbst besser zu erkennen. Es blieb bei mir bis jetzt im Wesentlichen bei diesem Bewusstsein.
Fern lag es mir noch, mit solchen Betrachtungen hervorzutreten und zur Kritik unserer Zustände aufzufordern. Da fügte es ein ungewöhnliches Ereignis, dass mir meine Aufgabe offenbar abgenommen wurde.
Ein Neger, den ich am Hofe des Königs Ruoma traf, ist meiner Anregung gefolgt und hat sich vom Herrscher des Landes Kitara den Auftrag geben lassen, Deutschland zu bereisen.
Lukanga Mukara ist, wie sein Name sagt, ein Mann, der von der Insel Ukara im Viktoriasee stammt. Er ist frühzeitig von der übervölkerten Insel nach der Nachbarsinsel Ukerewe ausgewandert und hat dort bei den „weißen Vätern“ Lesen und Schreiben gelernt. Dann ist er auf einer Reise dem Pater, den er begleitete, entlaufen und bei Ruoma, dem König von Kitara*, geblieben, wo er als Dolmetscher, Erzähler und Gerichtsberater seine reichen Kenntnisse verwertete. Dort lernte ich ihn kennen.
Die Briefe des Lukanga haben einen besonderen Wert. Der fremde Mann legt an die Zustände in Deutschland seinen Maßstab an. Was uns gewohnt erscheint, fällt ihm auf. Seine Beobachtungsgabe und die Nacktheit seines Urteils bringen es mit sich, dass er bedeutend über Dinge sprechen kann, denen wir selbst gar nicht mehr unbefangen gegenüberstehen können.
Die Inseln Ukerewe (unten) und Ukara (kleiner, oben) im Viktoriasee.
Die Briefe des Lukanga Mukara sind eine Kulturkritik ganz besonderer Art, denn in ihnen schildert der Diener am Hofe des Königs Ruoma im Lande Kitara (an der Grenze von Uganda zum Kongo gelegen) seine Eindrücke, die er im Zuge seiner Forschungsreise ins Innerste Deutschlands im Jahre 1912 sammeln durfte. Seine Beobachtungsgabe, die Klarheit seines Blicks und die Nacktheit seines Urteils vermitteln uns eine neue Sicht auf viele Dinge, die uns als gegeben, gut und normal erscheinen. Die Briefe wurden vor dem Ersten Weltkrieg in der Zeitschrift „Der Vortrupp“ vom Quergeist, Provokateur, Lebensreformer, Pazifist, Afrikareisenden und „Weltverbesserer“ Hans Paasche (1881-1922) veröffentlicht und erregten damals großes – nicht unbedingt zustimmendes – öffentliches Aufsehen! Keinesfalls wollen wir durch die Veröffentlichung dieser Briefe die deutsche Kultur verspotten oder jene Kitaras verherrlichen. Wir finden aber, dass die insgesamt neun Briefe Lukangas einen unvergleichlich wertvollen Schatz darstellen, aus dem wir in heutiger Zeit Vieles und Wesentliches lernen können, indem wir die Errungenschaften unser westlichen Zivilisation einmal durch die Augen eines Menschen betrachten, der nicht an „Betriebsblindheit“ leidet.
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